Purpose

erstellt am: 24.04.2024 | Kategorie(n): Aktuelles |

Tiere suchen nicht nach dem Sinn des Lebens.

igikai

Es taucht ständig der japanische Begriff igikai auf. In einem Zeit-Interview erklärt die Psychologin Katharina Stenger igikai;

Stenger: Das Wort „Ikigai“ lässt sich einteilen in „Iki“, was „Leben“ bedeutet. Gemeint ist hier das Leben im Ganzen, aber auch das alltägliche Leben. „Gai“ lässt sich mit „Wert“ übersetzen. Ikigai kann sowohl „wertvoll leben im Alltag“ als auch „Sinn des Lebens“ bedeuten. Die Menschen in Japan meinen damit das, was unser Leben lebenswert macht, oder das, wofür wir morgens aufstehen. Dies zeigt schon, dass Ikigai sowohl den ganz großen als auch den kleinen Sinn meint, den wir im Alltag finden können. Das ist das Schöne, denn dadurch wird dieses schwere Wort „Sinn“ für Menschen greifbar. Zitat Ende.
Nämlich: Der Sinn des Lebens.

Also: warum soll man morgens (oder wann auch immer) vom Bett aufstehen?
Hat das was mit der Frage zu tun „Wer bin ich?“, nach dem Motto: Was mache ich hier? Und für wen?
In der Küchenpsychologie im El País Semanal (21.3.2024) werden drei Stufen vorgeschlagen:
Selbstkenntnis, Erkundung (Suche?), Versuch und Irrtum.
Selbst(er)kenntnis: Wofür tauge ich? Was kann ich der Welt (!) anbieten? Sprich: habe ich ein spezielles Talent?
Suche: Etwas unternehmen, Erfahrungen machen, Gespräche führen, an Projekten teilnehmen usw. Sinn kommt nicht von allein, man kreiert ihn. (Sagt übrigens auch der gute Herr Lesch.)
Versuch und Irrtum: Einfach solange suchen, bis einem ein Licht aufgeht. Ausschlussverfahren: wissen, was man nicht will – zu dem kommen, was man will.

Beispiel: Es fehlt an Freundlichkeit in der Welt. Also, wie kannst du dazu beitragen, dass die Welt freundlicher wird? (Küchenpsychologie wäre ja nicht Küchenpsychologie, wenn sie nicht derart nützliche Tipps geben würde). Dazu brauchen wir das WAS, das WIE und das WARUM (nach Simon Sinek, Autor und Unternehmensberater, sprich: business-coach). Diese drei Fragen sollte man kurz und knapp beantworten können. Wenn man das Warum nicht rauskriegt, muss man woanders suchen.

Und vielleicht dauert die Suche ja ewig an. (Meine ich). Autor der Küchenpsychologie in der El País: Francesc Miralles (escritor y periodista experto en psicología).
Soweit, sogut. Aber ich wollte mich ja eigentlich dem Thema Sinn in der Arbeit widmen.
Purpose! (In aller Munde).

Sinn (in) der Arbeit

Da heißt es dann „purpose“. Klar. Man gibt Sinnsuche bei Mr. Google (oder wem auch immer) ein und es kommt ein Video über „purpose im Job“. Und natürlich noch jede Menge. Man könnte sich tagelang durchwühlen. U.a. untersucht auf Terra X (ZDF) Harald Lesch den Sinn des Lebens (interessant, Sendung vom 23.4.23, Was ist der Sinn des Lebens?). Er sagt, heute könne sich jeder seinen Sinn selbst erschaffen (s.o.) und es gäbe viele Antworten auf die Frage. Hauptsache, man sucht.

„Die Zeit“ (online) titelt:
„Selbstverwirklichung im Beruf
Zu viel Sinn macht krank
Die Arbeit ist erfüllend, der Job ein Ort für Selbstverwirklichung? Wer das glaubt, erwartet von seinem Beruf meist mehr, als dieser liefern kann.“
(Autorin Katrin Wilkens, 28.2.24, DIE ZEIT 10/24) Übrigens sehr lesenswert.

Sie sagt: „Sinn ist das große Versprechen von New Work [https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/sinn-von-arbeit-wirtschaftspodcast], der dominierenden Arbeitsplatzideologie der jüngeren Vergangenheit.“
Sie zitiert die vielen Kalendersprüche. Dazu passt mein Lieblingsposter (tausendmal gepostet).

Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen nehmen zu. Katrin Wilkens dazu:
„Vielleicht hat der massive Anstieg der seelischen Belastungen auch damit zu tun, dass viele Betroffene es in ihrem Kopf einfach nicht zusammenkriegen: dass die stumpfsinnige Alltagsroutine ihres Jobs im Büro, an der Werkbank oder im Lager angeblich Sinn stiften soll. Oder sie erfüllt. Schlimmstenfalls: sie als Menschen überhaupt erst definiert.“

Sie meint, den Sinn des Lebens hätte noch niemand überzeugend erklärt, aber den Sinn der Arbeit wollen alle kennen und legten ihn im „mission statement“ des Unternehmens fest. „Purpose“ kostet erstmal nichts. Und wenn man die Mitarbeiter:innen mit Sinn entlohnen kann anstatt mit Geld, wird es eben billiger. Zitat Wilkens: „Kurz: Wenn Sinn und Geld erst einmal gleichberechtigt nebeneinanderstehen, kann man seine Leute eben auch in Sinn bezahlen. Eine Zeit lang werden sie das mitmachen. Bis sie irgendwann erkennen, dass sie den versprochenen Sinn nicht finden – und dann an ihrer Tätigkeit oder gleich an sich selbst verzweifeln.“

Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille.

Kurt Tucholsky

In diesen Zusammenhang passt „the great resignation“ in den USA: Millionen Arbeiter:innen kündigen am Ende der Pandemie, weil sie nicht sehen, dass sie etwas dazu beitragen können, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Diese Kündigungswelle schwappte wohl auch auf andere Länder über.

Eine Quelle des ständigen Unzufriedenseins sei, so Wilkens, die permanente Gleichzeitigkeit der Aufgaben. Lösung: eins nach dem anderen machen. „Purpose“ löst die Sinnfrage aus (Stress!), ebenso wie die Glückssuche, wie ICH meine (oh Gott, bin ich glücklich?) – der Vorschlag der Autorin: das Wort purpose durch Freude zu ersetzen. Klingt schon halb so anstrengend. Und dann natürlich die Frage: Was macht mir Spaß/Freude?

Sisyphos

Auf der Plattform XING werden verschiedene Ansätze präsentiert, wie man einen Sinn (in der Arbeit) finden kann. Dort heißt es: „Offenheit für neue und sogar spirituelle Ansätze sind auf dem Vormarsch.“
Die Erklärung wird auch mitgeliefert:
„Wenn Menschen das Gefühl haben, sich nur noch auf ihre inneren Werte verlassen zu können, weil im Außen so vieles instabil erscheint, dann fragen sie automatisch: „Macht es für mein Leben Sinn, was ich hier tue? Entspricht meine Arbeit meinen moralischen Werten und dem, wofür ich einstehen will?“ Der Wunsch, den eigenen Selbstwert zu stärken, ist eine Reaktion auf die Krisen im Außen.“
Die Jungen (ab 25) legen angeblich bei der Arbeitssuche Wert auf:
1. Unabhängigkeit. 2. Flexibilität/Spaß und 3. Sinn.
Also dann: viel Spaß!

Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten.

Thomas von Aquin