COVID GEBURTSTAG.

erstellt am: 28.07.2021 | Kategorie(n): Aktuelles, Kurzgeschichten, Tipps |

IRGENDWANN IM MAI.

So hatte ich mir meinen runden Geburtstag nicht vorgestellt. Fern der Heimat (England), mitten in einer merkwürdigen Runde seltsamer Menschen in Spanien.
Ich habe meinen Lebenspartner, einen Gomero, geheiratet. Wegen des Brexit. Sonst hätte ich nie geheiratet. Aus Prinzip nicht. Lieben kann man ja wen man will. Zumindest in unseren Breiten. Noch. Und jetzt Pandemie. Ein-/Ausreiseverbot. Verhaftet auf La Gomera, einer kleinen Atlantik-Insel.

Gefeiert wird bei der Schwiegermutter im Hof. Heißt: man kann draußen sitzen, im Gegensatz zur britischen Insel, wo es regnet. Im Gegensatz zu anderen Flecken der Erde, sind hier, auf La Gomera, Treffen (im Freien) mit maximal zehn Personen erlaubt. Woanders sitzen die Menschen zuhause vor dem Fernseher und hören/sehen schlechte Nachrichten und jonglieren mit Ziffern. Also, soviel zum Positiven.

Die kleine Insel hat rund 20.000 Einwohner, davon leben ca. 8.000 in der Hauptstadt, der Rest verteilt sich auf kleinere Gemeinden, verstreut über die Insel. Wir sind hier im Nordosten, in einem kleinen Dorf, in dem, wenn wir es gut meinen, noch ca. 400 Menschen wohnen. Freizeitbauern, Arbeitslose, drei Kneipenwirte, viele (sehr) Alte und ein paar Verlaufene. Als Ausländer und Teilzeitbewohner kenne ich (noch) nicht alle. Wen also einladen zu meinem 40er?

Die Einladung der restlichen Gäste – zieht man mich, meinen Mann, seine Mutter und den Bruder ab, bleiben noch sechs! – übernimmt mein mir soeben angetrauter Ehemann. Er nennt mich übrigens liebevoll Johnny, die anderen John.

Ich erwarte also freudig die Gäste im großzügig angelegten Hof der Schwiegermutter. Derweil skype ich mit meiner Mutter in England. Natürlich auf Englisch. Das verstehen nicht alle, die Hiesigen sprechen meist nur spanisch. Meine Mutter sieht ein wenig zerzaust aus, am Display. Besorgt. Die Arme. Sie getraut sich nicht aus dem Haus. Haben wir´s gut!

Wie hätte ich denn ohne das Virus meinen Geburtstag gefeiert? Unter „normalen“ Umständen? (Und was ist/war schon normal). Mit hundert Leuten in einem Pub? Mit einer krachenden Party? Habe ich überhaupt darüber nachgedacht?

Der Tisch ist gedeckt. Schinken, Käse, Avocado, Almogrote, Brot. Bis alle Eingeladenen eingetroffen sind, vergeht geraume Zeit. Schließlich sitzen alle an der Tafel: meine Schwiegermutter Inma und zwei ihrer Söhne, Roberto und Alejandro, so heißt mein Mann, sein Jugendfreund Mon, die venezolanische Mieterin Irene mit ihrer adoleszenten Tochter, die dicke Maria und zwei deutsche Frauen, die im Dorf wohnen. Petra und Inge. Und natürlich ich, John. Genau zehn Personen.

Auf der unteren Terrasse steht mein Schwager am Feuer und achtet darauf, dass die Paella auf dem Grill nicht verkohlt. Vegetarische Paella. Wir sind Vegetarier, ungewöhnlich genug für die Insel, auf der es vor allem Fleisch mit Kartoffeln gibt. Die Hunde, die unten bleiben müssen, stellen sich von Zeit zu Zeit auf die Hinterpfoten, um Einlass zu erbitten. Vergeblich. Die Party beginnt. Jeder bekommt sein Getränk. Süßen Wein, trockenen Wein, rot oder weiß, Cava, Bier, Limo. Je nachdem. Das Essen startet.

Dazu läuft Musik. Man soll merken, dass gefeiert wird. Wie lange darf man denn? Bis um 22 Uhr oder 0 Uhr? Es wird unübersichtlich mit den Corona-Maßnahmen. Also, jetzt ist es noch früh genug. Ich blicke in die Runde. Neben mir sitzt Alejandro. Ich liebe ihn. Er schreibt. Er schreibt richtig gut. Ist eher schüchtern und zurückhaltend. Dann sitzt da die dicke Maria. Sie ist depressiv. Das weiß jeder. Und sie besteht darauf. So richtig weiß ich nicht, wie der Zusammenhang ist – vermutlich eine Freundin meiner Schwiegermutter, die den Vorsitz am Tischende hat. Diese wiederum ist eine „lustige Witwe“. Tragisch, der frühe Tod ihres Mannes, des Vaters meines Ehemanns. Dabei ist sie so lebenslustig. Wenn man sie „lässt“. Sie sprüht vor Energie und würde am liebsten lossingen. Was sage ich: kreischen. Roberto, ihr zweiter Sohn (es gibt noch einen dritten, der ist nicht da), versucht sich aus dem Szenario herauszuhalten, was ihm aber nicht immer gelingt. Er muss nur motiviert werden. Dann ist da noch der ewige Schulfreund aus Kinder-/Jugendzeiten: Mon. Auch schwul. Geschäftsmann, geachtet im Dorf – und ein ganz spezielles Talent. Ein Original. Er ist Animator und Einheizer. Es gibt Karaoke, später. Nach dem Essen. Da freue ich mich schon drauf. Fehlt noch Irene und ihre Tochter. Sie mussten aus Venezuela weg, wie so viele, sind hier gelandet mit nichts. Ein harter Schlag, alles zu verlassen, Haus, Autos, Tiere, Land … und dann auf diese rückständige Insel zu geraten. Das kann schonmal am Selbstbewusstsein nagen. Gut, dass Irene genug davon hat. Selbst ihre Tochter taut langsam auf. Wenigstens beim Tanzen und Karaokesingen.

Und dann sind da noch die beiden deutschen Frauen. Petra, manchmal ein wenig vorlaut, gibt ein paar Anekdoten zum Besten – und Inge, der Neuzugang im Dorf, probiert ihr nach und nach erobertes Spanisch aus. Alle hören freundlich zu.

Es wird gegessen, bis es nicht mehr geht. Wir kämpfen uns durch alle Speisen, die Paella ist wirklich sehr gut gelungen und geschmackvoll. Die meisten von uns haben in Corona-Zeiten ziemlich zugelegt. Weil sie in Spanien nicht rausdurften. Nichtmal zum Spazierengehen. „Confinamiento“. Das hängt sich an, wenn man zu zweit daheim verhaftet ist und Kochen eine Leidenschaft.

Als Krönung die Geburtstagstorte. Bestellt man auf der Insel eine Geburtstagstorte, bekommt man ein übersüße und mit reichlich Zuckerzeug bunt dekorierte Cremetorte. Als wäre noch heute das wichtigste Nahrungsmittel der Zucker (früher dessen Export, später Import). Für übrige „Europäer“ nicht nachvollziehbar, geschweige denn essbar. Deshalb sind wir gestern extra eine dreiviertel Stunde zu dieser – eigentlich wirklich guten – Konditorei gefahren und haben eine Erdbeertorte bestellt. Etwas Leichtes, Frisches, keine Bombe. Ich sagte, vor allem Erdbeeren – und nur Sahne, keine Creme. Jetzt stand das zweistöckige Kunstwerk auf dem Tisch. Anschneiden. Äußerlich war noch keine Erdbeere zu sehen, vermutlich sind diese alle innen versteckt. Ich schneide an. Keine Erdbeere weit und breit. Wir probieren. Sahne. Und ein wenig Teig. Und, wenn man ganz feinfühlig ist, spürt man ein wenig Erdbeeraroma heraus. Das ist aber nur für die ganz Sensiblen unter uns. Der Sahnehaufen ist ungenießbar. Ich entschuldige mich schließlich dafür, dass ich so einen Schrott gekauft habe. Peinlich.

Gottseidank hat eins der deutschen Mädels einen klassischen Käsekuchen mitgebracht. So ist zumindest die Nachspeise gerettet.

Jetzt muss das Angegessene wieder abgetanzt werden. Musik wird aufgedreht, quer durch den Gemüsegarten. Mon spielt den Entertainer, die Gomeros sind vorne dran mit Karaoke. Es werden verschiedene Kracher ausgesucht, lustig. Alle singen nach Herzenslust. Laut. Ob falsch oder richtig, stört keinen. Mit Inbrunst. Manche, meinen Schwager und die Kleine, müssen erst ein wenig bekniet werden, andere springen voller Freude auf die improvisierte Tanzfläche bzw. Sangesbühne. Die deutschen Damen finden einen gemeinsamen Nenner und geben ihr Bestes zu „Pretty Woman“, Roy Orbison.

Mich freut´s. Alle sind lustig und fröhlich. Es wird laut gelacht. Was will man mehr? Worum geht´s eigentlich im Leben? Eine schöne Zeit zu verbringen, sich zu amüsieren. Das habe ich heute getan. An meinem 40er. Wegen der Ausgangssperre endet die Feier frühzeitig. Dann bleibt mir ja noch die Nacht …
Und die Moral von der Geschicht: Unterschätze die Gomeros nicht …

ZP Mai, Juli 2021

Ab in den Dschungel!

In einem Artikel (El País, 11.7.21) habe ich ein Interview mit dem „Pflanzen-Neurobiologen“ Stefano Mancuso gelesen. Der berichtet von einem Experiment aus Norwegen. Dort hat man über zwei Jahre hinweg einen Vergleich in zwei Schulklassen gemacht. In einer Klasse war alles voll mit Pflanzen. In der anderen stand keine einzige. Am Ende stellte sich heraus, dass die Noten in der Klasse mit den Pflanzen um 30% besser waren, um 45% weniger krank wurden, sich die SchülerInnen untereinander besser verstanden und es kein bullying gab. Also, ab in den Dschungel!

DANKE!

Lesen.

Ich, mal wieder sehr hintennach, habe einen Roman von Uwe Timm gelesen. Fast hätte ich gesagt: ein sympathisches, liebenswertes Buch. Johannisnacht, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1. Auflage 1996.
Ich gebe zu, ein wenig spät – schließlich ist es „kurz“ nach der Wende geschrieben und handelt von kuriosen Begebenheiten in Berlin, aber es ist nach wie vor informativ wie unterhaltsam.

Ein Dialogbeispiel, Seite 42, Zitat:
Die DDR ist, sagte Rosenow und lehnte sich zurück, an der Unfreundlichkeit der Kellner kaputtgegangen.
Was?
Ja, sagte er, an der allgemeinen Unfreundlichkeit. Wenn man eine Mangelgesellschaft hat, dann muss man etwas ganz anderes liefern, mehr Freundlichkeit, mehr Freiheiten, auch für abweichende Sexualpraktiken, und mehr Muße, aber Muße mit gutem Gewissen.

Zitat Ende.
Im Buch fallen die Anführungszeichen bei Dialogen weg, ich habe das ß in zwei ss verwandelt (sorry, konnte nicht anders).

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Benjamin Franklin